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Die Freund-Feind-Unterscheidung bei Carl Schmitt
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Vorbemerkung: Nachstehende Ausf�hrungen sind Carl Schmitts Werk „Der Begriff des Politischen“ (Ausgabe von 1932) entnommen.
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Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Das Politische hat n�mlich seine eigenen Kriterien, die gegen�ber den verschiedenen, relativ selbst�ndigen Sachgebieten menschlichen Denkens und Handelns, insbesondere dem Moralischen, �sthetischen, �konomischen in eigenartiger Weise wirksam werden. Das Politische muss deshalb in eigenen letzten �berzeugungen liegen, auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zur�ckgef�hrt werden kann. Nehmen wir an, dass auf dem Gebiet des Moralischen die letzten Unterscheidungen Gut und B�se sind; im �sthetischen Sch�n und H�sslich; im �konomischen N�tzlich und Sch�dlich oder beispielsweise Rentabel oder Nicht-Rentabel. Die Frage ist dann, ob es auch eine besondere, jenen Unterscheidungen zwar nicht gleichartige und analoge, aber von ihnen doch unabh�ngige, selbst�ndige und als solche ohne weiteres einleuchtende Unterscheidung als einfaches Kriterium des Politischen gibt und worin sie besteht.
Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zur�ckf�hren lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als ersch�pfende Definition oder Inhaltsangabe. Insofern sie nicht aus anderen Kriterien ableitbar ist, entspricht sie f�r das Politische den relativ selbst�ndigen Kriterien anderer Gegens�tze: Gut und B�se im Moralischen, Sch�n und H�sslich im �sthetischen usw. Jedenfalls ist sie selbst�ndig, nicht im Sinne eines eigenen neuen Sachgebietes, sondern in der Weise, dass sie weder auf einem jener anderen Gegens�tze oder auf mehreren von ihnen begr�ndet, noch auf sie zur�ckgef�hrt werden kann. Wenn der Gegensatz von Gut und B�se nicht ohne weiteres und einfach mit dem von Sch�n und H�sslich oder N�tzlich und Sch�dlich identisch ist und nicht unmittelbar auf ihn reduziert werden darf, so darf der Gegensatz von Freund und Feind noch weniger mit einem jener anderen Gegens�tze verwechselt oder vermengt werden. Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den �u�ersten Intensit�tsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen; sie kann theoretisch oder praktisch bestehen, ohne dass gleichzeitig alle jene moralischen, �sthetischen, �konomischen oder anderen Unterscheidungen zur Anwendung kommen m�ssten. Der politische Feind braucht nicht moralisch b�se, er braucht nicht �sthetisch h�sslich zu sein; er muss nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft sein, mit ihm Gesch�fte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es gen�gt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so dass im extremen Fall Konflikte mit ihm m�glich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines „unbeteiligten“ und daher „unparteiischen“ Dritten entschieden werden k�nnen.
Die M�glichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier n�mlich nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktfall k�nnen nur die Beteiligten unter sich selbst ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bek�mpft wird, um die eigene, seinsm��ige Art von Leben zu bewahren. In der psychologischen Wirklichkeit wird der Feind leicht als b�se und h�sslich behandelt, weil jede, am meisten nat�rlich die politische als die st�rkste und intensivste Unterscheidung und Gruppierung, alle verwertbaren anderen Unterscheidungen zur Unterst�tzung heranzieht. Das �ndert nichts an der Selbst�ndigkeit solcher Gegens�tze. Infolgedessen gilt auch umgekehrt: was moralisch B�se, �sthetisch H�sslich oder �konomisch Sch�dlich ist, braucht deshalb noch nicht Feind zu sein; was moralisch Gut, �sthetisch Sch�n und �konomisch N�tzlich ist, wird noch nicht zum Freund in dem spezifischen, d.h. politischen Sinn des Wortes. Die seinsm��ige Sachlichkeit und Selbst�ndigkeit des Politischen zeigt sich schon in dieser M�glichkeit, einen derartig spezifischen Gegensatz wie Freund-Feind von anderen Unterscheidungen zu trennen und als etwas Selbst�ndiges zu begreifen.
Die Begriffe Freund und Feind sind in ihrem konkreten, existenziellen Sinn zu nehmen, nicht als Metaphern oder Symbole, nicht vermischt und abgeschw�cht durch �konomische, moralische und andere Vorstellungen, am wenigsten in einem privat-individualistischen Sinne psychologisch als Ausdruck privater Gef�hle und Tendenzen. Sie sind keine normativen und keine „rein geistigen“ Gegens�tze. Der Liberalismus hat in einem f�r ihn typischen Dilemma von Geist und �konomik den Feind von der Gesch�ftsseite her in einen Konkurrenten, von der Geistseite her in einen Diskussionsgegner aufzul�sen versucht. Im Bereich des �konomischen gibt es allerdings keine Feinde, sondern nur Konkurrenten, in einer restlos moralisierten und ethisierten Welt vielleicht nur noch Diskussionsgegner. Ob man es aber f�r verwerflich h�lt oder nicht und vielleicht einen atavistischen Rest barbarischer Zeiten darin findet, dass die V�lker sich noch immer wirklich nach Freund und Feind gruppieren, oder hofft, die Unterscheidung werde eines Tages von der Erde verschwinden, ob es vielleicht gut und richtig ist, aus erzieherischen Gr�nden zu fingieren, dass es �berhaupt keine Feinde mehr gibt, alles das kommt hier nicht in Betracht. Hier handelt es sich nicht um Fiktionen und Normativit�ten, sondern um die seinsm��ige Wirklichkeit und die reale M�glichkeit dieser Unterscheidung. Man kann jene Hoffnungen und erzieherischen Bestrebungen teilen oder nicht; dass die V�lker sich nach dem Gegensatz von Freund und Feind gruppieren, dass dieser Gegensatz auch heute noch wirklich und f�r jedes politisch existierende Volk als reale M�glichkeit gegeben ist, kann man vern�nftigerweise nicht leugnen.
Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im Allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegef�hlen hasst. Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d.h. der realen M�glichkeit nach k�mpfende Gesamtheit von Menschen, die einer ebensolchen Gesamtheit gegen�bersteht. Feind ist nur der �ffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch �ffentlich wird. Feind ist hostis, nicht inimicus im weiteren Sinne (…). Die deutsche Sprache, wie auch andere Sprachen, unterscheidet nicht zwischen dem privaten und dem politischen „Feind“, so dass hier viele Missverst�ndnisse und F�lschungen m�glich sind. (…) Den Feind im politischen Sinne braucht man nicht pers�nlich zu hassen, und erst in der Sph�re des Privaten hat es einen Sinn, seinen „Feind“, d.h. seinen Gegner, zu lieben. Jene Bibelstelle ber�hrt den politischen Gegensatz noch viel weniger, als sie etwa die Gegens�tze zwischen Gut und B�se oder Sch�n und H�sslich aufheben will. Sie besagt vor allem nicht, dass man die Feinde seines Volkes lieben und gegen sein eigenes Volk unterst�tzen will.
Der politische Gegensatz ist der intensivste und �u�erste Gegensatz und jede konkrete Gegens�tzlichkeit ist umso politischer, je mehr sie sich dem �u�ersten Punkte, der Freund-Feindgruppierung, n�hert. Innerhalb des Staates als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes f�r sich die Freund-Feindentscheidung trifft, au�erdem neben den prim�r politischen Entscheidungen und im Schutz der getroffenen Entscheidung ergeben sich zahlreiche sekund�re Begriffe von „politisch“. Zun�chst mit Hilfe der oben behandelten Gleichsetzung von politisch und staatlich. Sie bewirkt es, dass man z.B. eine „staatspolitische“ Haltung der parteipolitischen entgegenstellt, dass man von Religionspolitik, Schulpolitik, Kommunalpolitik, Sozialpolitik usw. des Staates sprechen kann. Doch bleibt auch hier stets ein - durch die Existenz der alle Gegens�tze umfassenden politischen Einheit des Staates allerdings relativierter - Gegensatz und Antagonismus innerhalb des Staates f�r den Begriff des Politischen konstitutiv. Schlie�lich entwickeln sich noch weiter abgeschw�chte, bis zum Parasit�ren und Krankhaften entstellte Arten von „Politik“, in denen von der urspr�nglichen Freund-Feindgruppierung nur noch irgendein antagonistisches Moment �brig geblieben ist, das sich in Taktiken und Praktiken aller Art, Konkurrenzen und Intrigen �u�ert und die sonderbarsten Gesch�fte und Manipulationen als „Politik“ bezeichnet. Dass aber in der Bezugnahme auf eine konkrete Gegens�tzlichkeit das Wesen politischer Beziehungen enthalten ist, bringt der landl�ufige Sprachgebrauch selbst dort noch zur Geltung, wo das Bewusstsein des „Ernstfalles“ ganz verloren ging.
An zwei ohne
weiteres festzustellenden Ph�nomenen wird das allt�glich sichtbar.
Erstens haben alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte einen
polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegens�tzlichkeit im Auge, sind
an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine (in Krieg
oder Revolution zu �u�ernde) Freund-Feindgruppierung ist, und werden
zu leeren und gespenstischen Abstraktionen, wenn diese Situation entf�llt.
Worte wie Staat, Republik, Gesellschaft, Klasse, ferner: Souver�nit�t,
Rechtsstaat, Absolutismus, Diktatur, Plan, neutraler oder totaler Staat usw.
sind unverst�ndlich, wenn man nicht wei�, wer in concreto durch ein
solches Wort getroffen, bek�mpft, negiert und widerlegt werden soll. Der
polemische Charakter beherrscht vor allem auch den Sprachgebrauch des Wortes
„politisch“ selbst, gleichg�ltig, ob man den Gegner als „unpolitisch“
(im Sinne von weltfremd, das Konkrete verfehlend) hinstellt, oder ob man ihn
umgekehrt als „politisch“ disqualifizieren und denunzieren will,
um sich selbst als „unpolitisch“ (im Sinne von rein sachlich, rein
wissenschaftlich, rein moralisch, rein juristisch, rein �sthetisch, rein
�konomisch, oder auf Grund �hnlicher polemischer Reinheiten) �ber
ihn zu erheben. Zweitens: In der Ausdrucksweise der innerstaatlichen
Tagespolemik wird „politisch“ heute oft gleichbedeutend
mit „parteipolitisch“ gebraucht; die unvermeidliche „Unsachlichkeit“
aller politischen Entscheidungen, die nur der Reflex der allem politischen Verhalten
immanenten Freund-Feindunterscheidung ist, �u�ert sich dann in den
k�mmerlichen Formen und Horizonten der parteipolitischen Stellenbesetzung
und Pfr�nden-Politik, die daraus entstehende Forderung einer „Entpolitisierung“
bedeutet nur �berwindung des Parteipolitischen usw. Die Gleichung: politisch
= parteipolitisch ist m�glich, wenn der Gedanke einer umfassenden, alle
innenpolitischen Parteien und ihre Gegens�tzlichkeiten relativierenden
politischen Einheit (des „Staates“) seine Kraft verliert und infolgedessen
die innerstaatlichen Gegens�tze eine st�rkere Intensit�t erhalten
als der gemeinsame au�enpolitische Gegensatz gegen einen anderen Staat.
Wenn innerhalb eines Staates die parteipolitischen Gegens�tze restlos „die“
politischen Gegens�tze geworden sind, so ist der �u�erste Grad
der „innerpolitischen“ Reihe erreicht, d.h. die innerstaatlichen,
nicht die au�enpolitischen Freund- und Feindgruppierungen sind f�r
die bewaffnete Auseinandersetzung ma�gebend. Die reale M�glichkeit
des Kampfes, die immer vorhanden sein muss, damit von Politik gesprochen werden
kann, bezieht sich bei einem derartigen „Primat der Innenpolitik“
konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten V�lkereinheiten
(Staaten oder Imperien), sondern auf den B�rgerkrieg.
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