Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 5. bis 11. Mai 2001

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

Ulrike Meinhof zum Gedenken

Unruhen in der Republika Srpska

BRD geht auf NMD-Kurs

USA sabotieren Echelon-Untersuchung

Vereinigte Staaten als einzige Weltmacht

G-10-Gesetz verabschiedet

Neue Anschläge der Real IRA

Große Koalition soll Mazedonien retten

UDP-Wahlteilnahme ist gescheitert

BRD in der Bildungsmisere

Israel gerät unter internationalen Druck

USA aus Drogenkontrollrat abgewählt

Die BRD und Israel

Linker Protest in der PDS formiert sich

Kommunalwahlen in 3 Bundesländern

Konsum als Lebensinhalt

 

Zitat der Woche:
"Aber die Masse als Geniebegreifer ist eben ein Widerspruch in sich... Nach der Jahrhundertwende setzte die Vermassung ein. Masse Mensch stand auf... Der Wahn von der Gleichheit und Brüderlichkeit wurde unter besonderen Schutz der Humanitas gestellt. Der billigste ‚gesunde Menschenverstand' wurde heilig gesprochen, da Kultiviertheit und Wissen für die faule Menge nicht billig genug erreichbar waren. Mit dem ganzen Instinkt eines gekränkten Haufens protestierte sie von nun an gegen den Ausreißversuch einzelner Menschen aus der Normung. Sie spürte sofort, daß hier ihre neueste heilige Überzeugung, daß alle Menschen gleich seien, in Gefahr geriet; daß sich hier jemand befreien wollte aus dem Kollektiv."
- Joachim Fernau

 

Zum 25. Mal jährte sich der Tag, an dem die Kriegsgefangenen der Baader-Meinhof-Gruppe 1976 im Hochsicherheitsknast von Stuttgart-Stammheim unter verdächtigen Umständen den Tod fanden. Die Meldung vom "Selbstmord" wurde im übrigen verbreitet, noch bevor die - überaus nachlässig durchgeführte - Obduktion erfolgte. Zur unvergessenen Literatin und Untergrundkämpferin Ulrike Meinhof, zu deren Inspiratoren in den 60er Jahren ein ehemaliger Rechtsterrorist namens Ernst von Salomon zählte, bemerkt Arno Widmann in der "Berliner Zeitung": "Ulrike Meinhofs Prosa lehrte das Gruseln. An Autobahnen liest man gelegentlich: ‚Du stehst nicht im Stau, Du bist der Stau.' Von dieser Qualität waren viele von Ulrike Meinhofs Artikeln. Sie machten einem klar, daß man nicht nur Teil dessen war, was man hasste, sondern, daß man mithalf, es hassenswert zu machen. (...) Ulrike Meinhofs Texte sind gewalttätig. Sie haben jene Unversöhnlichkeit, jene kalte Verachtung, die die Avantgarde immer wieder kultivierte. Es sind Künstlertexte. So rigoros schreibt nur, wer auch sich selbst meint. Wer nur schildert, berichtet, bemeint, wird die unschuldig törichten Buchstaben niemals mit soviel Emotion vollpumpen können. Die muß aus dem eigenen Herzen, dem eigenen Willen kommen. Ulrike Meinhofs Texte stellen das Leben nicht dar. Sie wollen es sein. Sie wollen schocken wie ein Schlag auf den Kopf. Sie sollen nicht diskutiert, sondern ins Leben überführt werden. Jeder Satz drängt über sich hinaus. Ulrike Meinhof wurde das Opfer einer Rhetorik, die dem Gedanken eine so kräftige Körperlichkeit zu geben versuchte, daß er von der Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden war. Es macht die Bedeutung ihres Lebens und seine Tragik aus, daß es nicht die aufwühlenden Reden der anderen waren, die sie erst zu Töten und dann in den Tod trieben, sondern die diabolische Kraft ihrer eigenen Worte. Sie verbrannte an dem Feuer, das sie selbst entfacht hatte. (...) Ulrike Meinhof gehört in die Literaturgeschichte der Bundesrepublik. Sie selbst hat sich aus ihr in die politische Geschichte katapultiert. Es käme darauf an, sie wieder zu lesen, um zu begreifen, wie der terroristische Wahn auch die Empfindlichsten hat ergreifen können. Ja, wie gerade diese nach ihm gegriffen haben. Ulrike Meinhofs Prosa zeigt, daß ein Text fiebern kann, auch wenn er über nichts verfügt als die kalten Termini der Sozialwissenschaften. Kunst mißt sich nicht am Reichtum der Mittel. Es ist wichtiger, wie ein Künstler mit seinen Mitteln umgeht als die Größe des Fundus, aus dem er schöpft. Ulrike Meinhof war die Meisterin einer wieder zu entdeckenden arte povera der Agitation. Die Unbedingtheit, mit der der Autor alles tilgt, was sich dem von ihm angestrebten Text in den Weg stellt, mit der er erbarmungslos nicht nur die Fehlgeburten seines Gehirns, unstimmige Adjektive oder auf Seitenpfade führende Nebensätze, sondern auch jeden den zentralen Gedanken ablenkenden oder gar in Frage stellenden Einfall ausmerzt, um, was er sagen will, in wunderbarer Plastizität vor die Augen des Lesers zu stellen, sie ist - übersetzt ins Leben - der blanke Terrorismus."

 

In Berlin traf zu Konsultationen über die umstrittenen US-Pläne zur Raketenabwehr NMD, zur Militarisierung des Weltraums und zur Verlagerung des militärischen Schwerpunktes der US-Streitkräfte nach Ostasien eine hochrangige Delegation unter Vizeverteidigungsmin Paul Wolfowitz und Vizesicherheitsberater Steve Hadley ein. Zitat Auswärtiges Amt: "Bei den Gesprächen wurde deutlich, daß es in der Beurteilung der geostrategischen Ausgangslage mehr Übereinstimmung als Divergenzen zwischen den beiden Bündnispartnern gibt. Einigkeit besteht auch hinsichtlich des Ziels, nämlich gemeinsam mit den Partnern im Bündnis und unter Einbeziehung Russlands eine neue Grundlage für strategische Stabilität und Sicherheit zu finden. Es wurde deutlich, daß die Pläne zur Entwicklung einer Raketenabwehr dabei nur ein, wenn auch besonders wichtiges und augenfälliges Element in einer Palette von strategischen Überlegungen darstellen. Die amerikanische Delegation ließ andererseits keinen Zweifel daran aufkommen, daß Präsident Bush entschlossen ist, an seinen schon im Wahlkampf postulierten Plänen zur Entwicklung eines Schutzschildes gegen mögliche Angriffe von Seiten ‚kritischer Staaten' mit raketengestützten Massenvernichtungswaffen festzuhalten...(...) Die Bundesregierung teilt die amerikanische Einschätzung, daß es nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation eine völlig neue strategischen Konstellation gibt, die nicht mehr von einer bipolaren, sondern vielmehr von einer multipolaren Sichtweise geprägt ist. Gleichzeitig hat man es mit einer Miniaturisierung bei den Massenvernichtungswaffen zu tun, was zusammengenommen eine Herausforderung darstellt, die nach neuen Antworten verlangt. Es ist daher auch richtig, die bisherigen sicherheitspolitischen Gegebenheiten einschließlich der vertraglichen Grundlagen auf ihre Brauchbarkeit und Angemessenheit hin zu untersuchen und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. (...) Es liegt daher in ihrem Interesse, wenn die Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion - einschließlich desABM-Vertrags - den heutigen Verhältnissen angepasst werden. Es wäreaber nicht wünschenswert, wenn das bisherige Vertragswerk durch ein vertragliches Vakuum abgelöst würde." Weiterhin ist eine offizielle Stellungnahme der amerikahörigen Regierung Schröder-Fischer zu Bushs Plänen Fehlanzeige. Im Klartext ist mit einer bundesdeutschen Beteiligung an den amerikanischen Aufrüstungsvorhaben zu rechnen, sofern diese nicht einseitig in Gang gesetzt werden. Während die Parlamentarier des bundesdeutschen US-Satellitenstaates BRD sich in vornehmer Zurückhaltung üben, haben 106 Abgeordnete des britischen Unterhauses NMD und die beabsichtigte Verletzung des ABM-Vertrages heftig kritisiert.

 

Ergänzend hierzu führte Karsten D. Voigt (SPD), Koordinator für die bundesdeutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt und wichtiges Mitglied der Loge Atlantikbrücke, beim Marshall Center Graduate Symposium in Garmisch-Partenkirchen aus: "An Stelle der Bipolarität ist eine komplexere Realität getreten, die weder durch Unipolarität noch Multipolarität richtig wiedergegeben wird. Überhaupt wartet das neue Zeitalter auf eine verbindliche Etikettierung. Am nächsten kommt vielleicht der Begriff Globalisierung...In diesem Begriff spiegelt sich jedoch wieder, daß sowohl die Zahl der international Handelnden zugenommen hat, als auch weltweite Unsicherheitsfaktoren prioritär geworden sind, die zur Zeit des Kalten Krieges nachrangig waren. Der Eindruck von einer neuen Unübersichtlichkeit, also einer zunehmend komplexeren Realität wird verstärkt durch die Beschleunigung der technologischen Entwicklung. (...) Auch die Rolle der USA hat sich gewandelt. Sie sind die einzig verbliebene Weltmacht und haben erstmals in der Geschichte keine gleichgewichtigen Rivalen. Sie sind weltweit der einzige Staat, der zu dauerhafter globaler Projektion militärischer Macht in der Lage ist. Sie besitzen die stärkste Volkswirtschaft der Erde, die fast über ein Jahrzehnt geboomt hat. Sie sind die Nation, die leichter als jeder andere Staat in der Lage ist, eigene Vorstellungen als weltweite Normen durchzusetzen, in Einzelfällen sogar im Alleingang. Kulturell besteht bei vielen Europäern das alte Überlegenheitsgefühl gegenüber den USA zwar fort; aber berechtigt ist das schon lange nicht mehr. Nicht nur für die Massengesellschaft, sondern auch für kulturelle Eliten setzen die USA seit langem weltweit die Standards. Ihre globale Rolle begründet sich auf einer historisch einmaligen Synthese von wirtschaftlicher Stärke, weltweiter kultureller Meinungsführerschaft und militärischer Überlegenheit. (...) Ob Missile Defense einen größeren Schutz gegenüber ‚kritischen Staaten' mit Trägertechnologie bringt, hängt von der Ausgestaltung des internationalen Umfelds für MD ab (einseitige Abrüstung, Transparenzmaßnahmen, Verifizierbarkeit, etc)...Aber auch die meisten Kritiker verkennen nicht, daß es zuerst einmal berechtigt ist, nach neuen Antworten auf neue nukleare Bedrohung zu suchen."

 

Bei einem Bombenanschlag der Real IRA auf ein für derartige Zwecke mittlerweile beliebtes Postsortieramt in London gab es einen Verletzten. Sicherheitskreise gehen davon aus, daß die RIRA bereits zwei unabhängig voneinander operierende Active Service Units in der britischen Hauptstadt unterhält. Hinzu kommt eine kleine logistische Gruppe, die sichere Häuser, Fahrzeuge und Werkstatträume zur Verfügung stellt. In Belfast verübten die republikanischen Hardliner einen Bombenanschlag auf eine Polizeistation. Nordirlands Premier David Trimble drohte erneut seinen Rücktritt an, wenn die im Waffenstillstand befindliche Provisional IRA nicht bis Anfang Juni die Abgabe ihrer Waffen einleite. Von einer Entwaffnung der loyalistischen Paramilitärs ist weiterhin nicht die Rede.

 

Die loyalistische Ulster Democratic Party wurde infolge organisatorischer Mängel von den nordirischen Regionalwahlen ausgeschlossen. Konkret versäumte die Parteiführung der UDA-nahen Gruppe, sich wie erforderlich rechtzeitig als Partei für die Wahlen registrieren zu lassen. Die UDP-Kandidaten müssen nunmehr als Unabhängige antreten, was für weiteren Hader in den Reihen der von internen Streitigkeiten gebeutelten UDP sorgen dürfte. Parteichef Gary McMichael mußte aus Geldmangel auf eine Kandidatur verzichten. Der bekannte Belfaster Vizebürgermeister Frank McCoubrey kündigte bereits an, keinesfalls zur UDP zurückkehren zu wollen, sondern sich fortan auf die Arbeit zugunsten der protestantischen Community zu konzentrieren. Der loyalistische Bruderzwist in Nordirland nimmt unvermindert seinen Fortgang. In Lurgan erfolgte der 4. Mordanschlag der LVF auf den der UVF nahestehenden Barrie Bradbury. In Portadown verletzte ein UV-Kommando einen der LVF nahestehenden Teenager mit einem Armschuß. In Nordbelfast randalierten Dutzende von UVF-Mitgliedern vor dem Haus eines Orangisten herum, wobei mehrere Schüsse abgegeben wurden. Die Gegenseite revanchierte sich mit zwei Brandanschlägen. Hintergrund der neuerlichen Zusammenstöße ist die Absicht, für die Gefallenen der UVF ein umfangreiches Wandgemälde (mural) einzuweihen.

 

Die israelische Regierung kündigte an, die Finanzhilfen für ihre zionistischen Wehrbauern im Gazastreifen und im Westjordanland um umgerechnet 817 Millionen DM aufzustocken. Mehr als die Hälfte dieser 200.000 Kolonisten wurde erst nach Abschluß des Abkommens von Oslo angesiedelt, an dessen Einhaltung man in Tel Aviv offenbar von Anfang an nicht auch nur dachte. An Bord eines libanesischen Fischerbootes stellten israelische Sicherheitskräfte beachtliche 40 Tonnen Waffen sicher, die für Ahmed Jibrils linksnationalistische PFLP bestimmt waren. Papst Johannes Paul II reiste erneut zu einem dramatischen Besuch in den Nahen Osten, um in Kuneitra für den Frieden zu beten und die syrische Regierung aufzufordern, an ihren Friedensbemühungen festzuhalten. Kuneitra wurde 1967 im Sechstagekrieg von Israel erobert, die 60.000 Einwohner zählende Bevölkerung inclusive der christlichen Minderheiten vertrieben. Auf US-Vermittlung gab Tel Aviv die Stadt später an Syrien zurück - als rauchenden Trümmerhaufen. Kuneitra gilt den Syrern seitdem als nationales Mahnmal für den zionistischen Terror. Selbst die USA und die EU verstärken ihren Druck auf Israel, von seiner Gewaltpolitik abzugehen und vor allem den für die Palästinenser demütigenden und provokativen Siedlungsbau einzustellen. Seit Beginn der neuen Intifada Ende September registrierten die israelischen Streitkräfte über 4810 bewaffnete Aktionen palästinensischer Widerstandskämpfer - in Nahost tobt ein regelrechter Guerrillakrieg, der bislang 463 Tote auf palästinensischer und 78 auf israelischer Seite forderte. Natürlich am 8. Mai nahm ausgerechnet Shimon Peres, Außenminister der faschistischen Regierung Sharon und damit des Apartheidstaates Israel den Friedenspreis der Geschwister-Korn-und-Gerstenmann-Stiftung in Frankfurt/Main entgegen.

 

Außenminister Fischer erklärte bei der Eröffnung der israelischen Botschaft in Berlin: "Die besondere Verantwortung Deutschlands wirkt aber auch nach außen. Das entschiedene Eintreten für das Existenzrecht Israels und für das Recht seiner Bürger, in sicheren Grenzen zu leben, bleibt ein unverrückbarer Pfeiler der deutschen Außenpolitik. Diese feste Position wird auch künftig den einzigartigen Charakter unserer Beziehungen zu Israel bestimmen. Weil wir Israel so eng verbunden sind, verfolgen wir die gegenwärtige Entwicklung im Nahen Osten mit großer Sorge. Der Weg zum Frieden kann nur über den Respekt beider Seiten für das Existenzrecht und die Würde des anderen führen. Wir sind bestürzt über den Versuch Syriens, den historischen Papstbesuch durch eine verurteilenswerte Polemik gegenüber Israel politisch auszunutzen. Mit Empörung haben wir die Aufrufe zu immer neuem Terror vernommen, die z.B. von einer Konferenz in Teheran zu hören waren. Deutschland verurteilt diese Haltung auf das Schärfste." Von einer Kritik an den zionistischen Gewaltexzessen in Nahost und dem rücksichtslosen Volkstumskampf der jüdischen Siedler gegen die arabische Bevölkerung ist kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil: Unwidersprochen durfte Peres seinen Amtskollegen Fischer auffordern, Druck auf Arafat auszuüben, auf daß dieser den militanten nationalen Widerstand einstelle. Alexander Brenner als neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin verwies auf das besondere Verhältnis der BRD zu Israel, das den Gradmesser für die demokratische Stabilität "Deutschlands" darstelle. Offen sprach Brenner in der "Süddeutschen Zeitung" der BRD unter Berufung auf die Schatten der Vergangenheit das Recht zu Sanktionen ab und de facto auch der deutschen Öffentlichkeit das Recht zur Kritik an der israelischen Gewaltherrschaft in den Palästinensergebieten.

 

Bei den ersten Direktwahlen von 11 der insgesamt 18 Landräte und Oberbürgermeister von Mecklenburg-Vorpommern lagen sechsmal die CDU, viermal die SPD und einmal die PDS vorne. In sechs Wahlgebieten müssen die zwei Bestplazierten in 14 Tagen in die Stichwahl. Die Christdemokraten konnten Greifswald und Nordvorpommern sowie mit Hilfe der PDS Güstrow für sich gewinnen. Die SPD war hingegen in Ludwigslust erfolgreich. Die Wahlbeteiligung lag bei 37,6 %, noch geringer war sie beim ersten Wahlgang der Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt. Dort erlitt die SPD leichte Verluste und konnte nur 3 der 7 bislang von ihr regierten Wahlkreise behaupten. Die CDU hingegen schnitt mit 6 von 7 Wahlkreisen besser ab, unterlag jedoch in Magdeburg den Kandidaten von SPD und PDS. Die Im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen konnte die CDU mit Eva Lohse erstmals das Amt des Oberbürgermeisters erringen.

 

Die baskische Befreiungsorganisation ETA meldete sich im Vorfeld der anstehenden Regionalwahlen mit zwei Morden zurück. In San Sebastián wurde der regierungsfreundliche Journalist José Luís López de la Calle erschossen, in Zaragoza mußte Manuel Jimínez Abad, seines Zeichens Regionalvorsitzender der Konservativen in Aragonien, sterben. Zuvor scheiterten zwei Paketbombenattentate auf den Rundfunkmoderator Carlos Herrera und den konservativen Zeitungsfunktionär Jesús María Zuloaga. Madrids selbstherrlicher Untersuchungsrichter Baltasar Garzón ließ unterdessen die separatistische Jugendbewegung Haika verbieten, da diese eine direkte Vorfeldorganisation der ETA sei.

 

Die UN-Protektoratsverwaltung in Bosnien strebte in einem Akt der Provokation die Grundsteinlegung einer Moschee ausgerechnet in Trebinje, einer Stadt im Südwesten der Republika Srpska. Besagte Osman-Pasche-Moschee wurde während des Bürgerkrieges von den Serben in die Luft gesprengt. Zur Grundsteinlegung fanden sich dann Hunderte serbischer Nationalisten ein. Die aufgebrachte Menge verprügelte den örtlichen Vertreter von UN-Satrap Petritsch und attackierte angereiste Muslime mit Pflastersteinen und Flaschen. Zur musikalischen Begleitung gab eine serbische Kapelle den Drina-Marsch zum besten, während die Bevölkerung Hochrufe auf den international gesuchten Radovan Karadzic ausbrachte. Die Regierung der Republika Srpska bedauerte zwar die Ausschreitungen und bekräftigte das Recht auf Religionsfreiheit, aber der Wiederaufbau religiöser Objekte dürfe nicht wie in Trebinje politisch mißbraucht werden. Ihren Fortgang fanden die Unruhen in Banja Luka, wo ebenfalls eine zerstörte Moschee wieder aufgebaut werden sollte. In der Serbenhochburg griffen mehr als 4000 serbische Nationalisten die mohammedanischen Gäste an und entfesselten Straßenschlachten, und nur Solidaritätsbekundungen der Regierung der Republika Srpska konnten Lynchjustiz an Vertretern von UNO und OSZE verhindern. Zur Vergeltung verübten Muslime in Sanski Most einen Handgranatenanschlag auf eine orthodoxe Kirche. In Sarajevo demonstrierten Muslime unter dem Schlachtruf "Allahu akhbar", und die von Muslimen dominierte bosnische Zentralregierung verlangte unumwunden eine Intervention der "internationalen Polizeitruppe" in der Republika Srpska, um die Friedhofsruhe des Dayton-Abkommens wiederherzustellen.

 

Eine Delegation des Echelonausschusses des Europaparlaments mußte ihre Reise in die USA abrupt abbrechen. Die US-Regierung sagte fünf Besuchstermine der "europäischen Partner" bei amerikanischen Behörden ab, woraufhin die Abgeordneten ihre Mission unter Protest als vorzeitig beendet erklärten. Abgesagt wurden u.a. Begegnungen mit einem Vertreter der NSA, mit dem National Intelligence Council im Verteidigungsministerium, dem Außenministerium und dem Beratungszentrum des Wirtschaftsministeriums. Hier liegt nicht nur ein Einschreiten der US-Regierung vor, sondern auch selbständiges Handeln des Senats, dessen Nachrichtendienstausschuß ebenfalls ein Treffen platzen ließ.

 

Der Innenausschuß des Bundestages lehnte mit den Stimmen von SPD und CDU eine öffentliche Anhörung zum G-10-Gesetz ab, durch welches die Befugnisse des BND erheblich erweitert werden. Somit wurde die Vorlage in den Bundestag eingebracht und dort gegen die Stimmen von PDS und FDP verabschiedet. Die Bundesregierung verpflichtete sich, keine mit Hilfe des G-10-Gesetzes gewonnenen Erkenntnisse im Verbotsverfahren gegen die NPD einzusetzen. Der Parlamentarische Kontrollausschuß des Bundestages soll gegenüber dem Bundesnachrichtendienst ferner Akten- und Zugangsrechte erhalten, zudem ist Pullach zur regelmäßigen Berichterstattung an die Abgeordneten verpflichtet. Ungeklärt ist weiterhin, wie der BND bei der Überwachung des leitungsgebundenen Internetverkehrs ausschließen will, daß auch der Kommunikationsverkehr im Inland überwacht wird. Hat beispielsweise ein bundesdeutscher User seine Domain im Ausland, so fällt sein Nachrichtenvekehr in den Zuständigkeitsbereich des Auslandsnachrichtendienstes.

 

In Mazedonien gingen die Kämpfe zwischen albanischen UCK-Rebellen und Regierungstruppen weiter. Tausende von Zivilisten wurden von den Partisanen als zivile Schutzschilde festgehalten, mindestens 6600 flohen vor den Kampfhandlungen. Nur auf internationalen Druck unterblieb die offizielle Ausrufung des Kriegszustandes, zu dem die Regierung im übrigen auch die zweifelhafte Zustimmung mehrerer albanischer Abgeordneter benötigt hätte. Vor allem NATO und EU drängen auf Bildung einer großen Koalition unter Einbeziehung beider Albanerparteien, die bereits inoffizielle Kontakte zu den Rebellen unterhalten und ihre politischen Forderungen aufgegriffen haben: Gleichberechtigung der albanischen Bevölkerungsgruppe als zweites Staatsvolk und faktische Teilung Mazedoniens in einen slawischen und einen albanischen Landesteil. Ministerpräsident Georgievski griff die Forderungen des Westens auf und strebt nun eine Große Koalition sowie etwaige Neuwahlen an. Nach Angaben der mazedonischen Regierung ist das aus den albanischen Guerrillaverbänden im Kosovo entstandene Kosovo-Schutzkorps der logistische Rückhalt der albanischen Ultranationalisten in Mazedonien.

 

Einer Studie der Pädagogengewerkschaft GEW zufolge droht der BRD ein dramatischer Akademikermangel. Bis zum Jahr 2010 werden auf dem Arbeitsmarkt mindestens 250.000 Hochschulabsolventen fehlen - somit können die in Pension gehenden wissenschaftlichen Kräfte nicht mehr ersetzt und der Neubedarf der Wirtschaft nicht gedeckt werden. Nehmen in den OECD-Staaten im Durchschnitt 40 % eines Jahrgangs ein Studium auf, so sind es in der BRD gerade noch 28 %. Hinzu kommen teilweise horrende Abbrecherquoten. Ebenfalls rückläufig ist seit Mitte der 90er Jahre die Zahl der Kinder, die von der Grundschule auf das Gymnasium wechseln; sie fiel von 30,1 % auf 29,2 %. Nach Angaben von DGB-Chef Schulte liegt die BRD bei den öffentlichen Ausgaben für Bildungseinrichtungen "international abgeschlagen an achter Stelle". Ein Sorgenkind ist auch die Förderung begabter Kinder aus finanziell schlechtgestellten Unterschichtfamilien, die an Universitäten und Hochschulen weiterhin unterrepräsentiert sind. Für gering qualifizierte Arbeitskräfte werden in Bälde düstere Zeiten abbrechen, da bis 2010 fast 2,5 Millionen ihrer Arbeitsplätze verschwinden. Das bundesdeutsche Bildungs- und Erziehungssystem versagt bereits bei der Förderung von Lernbereitschaft, Neugier, Sozialverhalten und weiteren Schlüsselqualifikationen in Kindergarten und Grundschule.

 

Nach der Abwahl aus der UN-Menschenrechtskommission durften die USA sich auch aus dem Internationalen Suchtstoff-Kontrollrat INCB verabschieden. Vor allem die Staaten Lateinamerikas sind offenbar nicht länger gewillt, einer amerikanischen "Drogenpolitik" zuzusehen, die an die Stelle einer effektiven Bekämpfung der Inlandsursachen für den massenhaften Drogenkonsum die Ausnutzung des drug war für politisch-militärische Interventionen wie in Kolumbien setzt. Pikanterweise war fungierte der abgewählte US-Vertreter Okun zuletzt als INCB-Vizepräsident. Den Zyniker stimmt die Zusammensetzung des Drogenkontrollrates heiter: Unter anderem finden sich dort Brasilien, der Iran, Peru, die Türkei, Mexiko, Rußland und Nigeria, allesamt entweder Drogenproduzenten oder doch in den internationalen Drogenhandel mehr als verwickelt. Der US-Kongreß antwortete mit einer Einstellung der ohnehin nicht geleisteten Zahlungen an die Vereinten Nationen.

 

In der PDS formiert sich der Widerstand gegen die vom Parteivorstand betriebene Sozialdemokratisierung der Partei. Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Unabhängige Linke hielten Parteichefin Gabi Zimmer vor, ihr Programmentwurf für eine Rechtswende der Partei sei von keinem gewählten Parteigremium legitimiert. Eine präzise Analyse der kapitalistischen Gesellschaft fehle ebenso wie eine sozialistische Alternative. Zudem würden Gewinnstreben und Unternehmertum als notwendig für Innovation und Effizienz angesehen, während die Kräfte des Widerstandes gegen die Macht der Unternehmer kaum Erwähnung finden. Zudem wurde - und das zu Recht - die Totaldistanzierung von der sozialistischen DDR abgelehnt.

 

Auf dem 6. Deutschen Trendtag in Hamburg konstatierte der Trendforscher Peter Wippermann, die Gesellschaft trete in eine posthumane Phase ein - das Schicksal wird zur Ware. Die neue Sinnsuche nach dem persönlichen Glück trägt einen wirtschaftlichen Charakter - jeder Mensch versucht, sich wie ein Markenartikel erfolgreich am Markt zu behaupten, in allen Lebenslagen herrscht der Kampf um Aufmerksamkeit. Sahen Menschen früher in einer Religion oder in Gesellschaftsutopien wie dem Kampf für eine bessere Welt oder saubere Umwelt noch ihre Lebensaufgabe, die sie mit anderen teilten, ist heute der Einzelne bei seiner Sinnsuche auf sich allein gestellt. Auf der Suche nach dem individuellen Sinn sind viele Menschen überfordert und suchen nach Schablonen, um die Leere zu füllen: Konsum. Da die märchenhafte Kombination aus Jugend, Schönheit, Ruhm, Reichtum und Liebe in der Realität ein Traum bleibt, ist auch hier Konsum als Ersatz gefragt. Wippermann: ‚Die Menschen suchen die permanente Inszenierung einer Kulissenwelt, um ihre Realität schnell zu vergessen."

 

In der ansonsten geradezu widerwärtig prowestlichen "Süddeutschen Zeitung" lassen ungewohnte Töne zum Thema USA aufhorchen: "Amerika kennt den Begriff Knock-out nicht, das macht es so unnachsichtig, so uneinsichtig gegen sich und die anderen, die Gegner wie die Freunde. Die unglaubliche Fähigkeit des Sichwiederaufrappelns, die unerhörten Nehmerqualitäten haben uns Amerika total entfremdet und suspekt gemacht. Ein Stirb und Werde, wie es natürlich auch am Beginn unserer eigenen Kultur und Zivilisation stand - das wir aber seit langem radikal verdrängt haben und an das uns möglichst keiner mehr erinnern soll. Das häßliche Amerika ist Realität, das Land, das einige Nasenstüber einstecken mußte, das Land von Brando, Nicholson, de Niro. Das aber, wenn es selbst in den Spiegel schaut, immer nur ‚America the beautiful' entdeckt. Ein unerschütterlicher Narzißmus, für Außenstehende unerträglich. Amerika ist der verlorene Sohn, der nicht daran denkt zurückzukommen. Dem Vorstellungen von Staatengemeinschaft oder Völkerfamilie ziemlich lächerlich anmuten. Der große Bruder, der sich in der Fremde herumtreibt und ab und zu sein Care-Paket heimschickt, in Form von finanziellen Zuwendungen, politischer Gunstbezeigung oder ideologischen Belehrungen. Amerika hat, anders alle anderen Länder auf der Welt, eine Zukunft nie gebraucht. (...) So ist es eben, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der unerschöpflichen Ressourcen. Amerika hat nie nach den üblichen Kategorien rechnen, das Kalkül befolgen müssen, das uns zu Knappheit und Zukunftsvorsorge zwingt, den Faktor Neid ins Spiel bringt. Und unsere Beziehung so pathologisch macht wie viele moderne Ehen. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne den großen Bruder leben. Wir hassen dieses Amerika für seinen Isolationismus wie für seinen Imperialismus, des wendigen Clinton wegen wie des sturen Bush Jr. Wir hassen es, weil es da ist, seiner schieren Präsenz wegen. Und weil wir, nach dem langen Zeitalter der bürgerlichen Innerlichkeit, immer noch Probleme haben mit dieser Präsenz. Dabei ist auch heute noch erstaunlich, daß in der heftigsten antiamerikanischen Dekade des vorigen Jahrhunderts, zwischen 1965 und 1975, auch ein Verständnis für Amerika sich zu entwickeln begann, das nicht allergisch war gegen Coca-Cola und McDonald, das Disney und Pollock zusammensah."

 

 

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