Wochenschau

 

Die politische Wochenschau

 

vom 12. bis 18. Juli 2003

Schlagzeilen der Woche   zusammengestellt von Christian Klee  

 

BRD und USA verhandeln über Irak

ETA greift Tourismus und Industrie an

Irakischer Übergangsrat eingesetzt Britisch-amerikanischer Auslieferungsvertrag
Lage der Amerikaner weiter kritisch Iren werden zum Freiwild
Asymmetrische Kriegführung schafft Probleme Kriminalisierung auch durch Israel
Rekord an Firmeninsolvenzen Polizeigewalt in der BRD - kleiner Ausschnitt

 

Zitat der Woche:
"Ich leide an einer mir fremden Zeit. Aber ich spreche mir nicht das Recht zu, von diesem Leiden ausgenommen zu sein."
- Antoine de Saint-Exupéry

Bundesaußenminister Fischer absolvierte zwecks Verbesserung der transatlantischen Beziehungen einen Staatsbesuch in den USA. Hierbei traf er zunächst mit feinem Gespür für die wahrhaft Mächtigen in liberalkapitalistischen Staaten in New York mit einer Gruppe von Investmentbankern zusammen, ehe er mit seinem Amtskollegen Colin Powell, Sicherheitsberaterin Rice und Vizepräsident Dick Cheney konferierte. Die Verhandlungen drehten sich vor allem um die Befriedung des Irak und die bundesdeutschen Bedingungen für eine Truppenentsendung, den langsam anlaufenden Friedensprozess in Palästina, den internationalen Terrorismus sowie um die Krisenherde Afghanistan, Iran, Nordafrika, Kaschmir, Kaukasus und Nordkorea. Fischer sprach sich für eine verbesserte strategische Zusammenarbeit zwischen Europäern und Amerikanern aus, also für eine Abstimmung der jeweiligen imperialistischen Interessen. Generell scheint Berlin in Washington Druck zugunsten einer vermehrten Beteiligung der UNO an der Neuordnung des Irak gemacht zu haben. Frankreich unterstützte den bundesdeutschen Standpunkt (frei gewählte irakische Regierung, Vorrang der UNO, Zugriff europäischer Firmen wie DaimlerChrysler, Bayer und Siemens auf den irakischen Markt etc.) mit dem Hinweis darauf, es könne gegebenenfalls bis zu 5000 Soldaten bereitstellen. In der New Yorker UN-Zentrale wurden mittlerweile Verhandlungen über eine neue Resolution aufgenommen, die den Weg für einen Einsatz internationaler Hilfstruppen im Irak freimachen soll. Genau eine solche Resolution wird von Frankreich, Russland, Deutschland und Indien gefordert.

 

In Bagdad trat der von US-Administrator Paul Bremer berufene 25köpfige Übergangsrat zusammen. Das Gremium besteht aus handverlesenen Mitgliedern: 13 Schiiten, 5 Sunniten, 5 Kurden, 1 Christ, 1 Turkmene, 22 Männer und 3 Frauen. Ratsmitglieder sind unter anderen der Führer des Irakischen Nationalkongresses, Ahmed Chalabi, ein Vertreter des Obersten Rats für die Islamische Revolution, Abdel-Aziz Hakim sowie die beiden Kurdenführer Massud Barzani und Jalal Talabani. Der Rat, der zugleich Befugnisse eines Staatsoberhaupts und Parlaments übernimmt, soll Übergangsminister ernennen, das Budget für das Jahr 2004 billigen, den Direktor der irakischen Zentralbank bestimmen und als eine Art kollektives Staatsoberhaupt den Irak nach außen vertreten. Ebenfalls erwartet wird die Zustimmung zur Privatisierung der in Staatsbesitz befindlichen Industriebetriebe und des Erdölsektors, welche noch vor der Wahl einer Volksvertretung über die Köpfe der Iraker hinweg erfolgt. Außerdem soll das Gremium die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Vorbereitung von Wahlen auf den Weg bringen. Die amerikanische Kolonialverwaltung hat das Vetorecht gegen jede Entscheidung. Bremers Hoffnungen scheinen jedoch etwas voreilig, denn der Rat konnte sich nicht einmal auf die Wahl eines Vorsitzenden einigen und berief für dieses Unterfangen eine Kommission. Auf der konstituierenden Sitzung wurden zudem alle irakischen Nationalfeiertage abgeschafft, darunter der traditionsreiche Revolutionstag. Stattdessen erhob man den Tag der Eroberung Bagdads, also den 9. April, zum neuen Nationalfeiertag. Abgesehen von Hakim, der unumwunden den Abzug der amerikanischen Besatzer verlangte, handelt es sich um einen Haufen würdeloser Speichellecker.

 

Der irakische Widerstand antwortete mit einem Granatwerferangriff auf das US-Hauptquartier in Bagdad, in dem auch ein Teil des Nationalrates ansässig ist. Schwerpunktmäßig bekämpfen die Partisanen die Besatzungstruppen durch mit Granat- und Raketenwerfern sowie Sturmgewehren durchgeführte Überfälle auf Fahrzeugkonvois, beliebt sind auch Autobomben und Scharfschützeneinsatz. Nachdem der Großteil der bei den Razzien der Operation Wüstenskorpion gefangenen Iraker aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt werden musste, veranstalteten die Amerikaner bereits wieder neue Menschenjagden und verhafteten Hunderte. Die Kriegskosten belaufen sich mittlerweile auf 50 Milliarden Dollar und werden sich bis Ende 2004 mindestens verdoppeln. Damit erhöht sich der für 2003 geplante Verteidigungsetat der USA um geschlagene 14 %. Die Personaldecke der US Army ist so dünn wie seit 30 Jahren nicht mehr, 10.000 Nationalgardisten sollen nun zu Sicherungsaufgaben in den Irak entsandt werden. In ihrer Verzweiflung boten die Vereinigten Staaten Indien für die Entsendung einer kompletten Division mit 17.000 Mann gar die Lieferung von Atomwaffentechnologie an. Neu-Delhi lehnte das innenpolitisch heikle Anliegen dennoch ab - mehr als 10 % der indischen Bevölkerung sind Muslime.

 

Bundeswehr-Oberstleutnant Jürgen Rose, wagemutiger Kritiker der Kriegspolitik des Westens und der BRD, konstatierte in der Wochenzeitung „Freitag“, die Amerikaner hätten es im Irak mit einem organisierten Guerrillakrieg zu tun. "Offenkundig ist die High-Tech-Streitmacht weder mental noch operativ auf eine derartige Entwicklung vorbereitet gewesen. Der erste Schock bestand darin, dass die Invasoren von den Irakern nicht wie erwartet als Befreier begrüßt und umjubelt wurden. Der zweite lag in der Erfahrung, dass selbst eine um Epochen überlegene Rüstungstechnologie im asymmetrischen Krieg nur bedingt taugt. Der dritte Schock resultiert daraus, dass die US-Doktrin der Full Spectrum Dominance gegen einen fanatischen Gegner bisher nicht greift. Sie verlangt eine Kriegführung aus der Distanz heraus - mit überlegenen, weltraum- und luftgestützten Aufklärungssystemen, modernster Informations- und Führungstechnologie sowie einem alles überwältigenden Luftkrieg. Bodentruppen sollen tendenziell die Schläge der Air Force nur noch mittels Aufklärung und Zielbeleuchtung flankieren und ansonsten für spezielle Kommandounternehmen verfügbar sein. Die entscheidende Intention dabei: eigene Verluste unbedingt vermeiden." Die hochgelobten High-Tech-Krieger seien weder imstande, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, noch die völkerrechtlich verbindlichen Grundpflichten einer Besatzungsmacht zu erfüllen.

 

Mit 3.610 Firmenpleiten allein im April 2003 hat die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland den höchsten je festgestellten Monatsstand erreicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes meldeten die Amtsgerichte im April insgesamt 8.759 Insolvenzen gemeldet worden, 3.610 von Unternehmen und 5.149 von anderen Schuldnern. Das entspricht einer Zunahme um 23,7 % gegenüber dem Vorjahresmonat. Bei den Unternehmensinsolvenzen ist allerdings der Zuwachs mit 8,0 % deutlich niedriger als bei den Insolvenzen der anderen Schuldner mit 37,9 %. Die Gesamthöhe aller offenen Forderungen wurde von den Gerichten in den ersten 4 Monaten 2003 auf 15,5 Milliarden Euro beziffert gegenüber 13,7 Milliarden Euro im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Von Januar bis April 2003 wurden damit 33.137 Insolvenzen gezählt. Das entspricht einem Zuwachs von 26,1 % gegenüber den ersten 4 Monaten des Vorjahres. Davon entfielen 13.357 auf Unternehmen (plus 9,0 %), 10.338 auf Verbraucher (plus 70,9 %), 7.376 auf ehemals selbstständig Tätige (plus 76,6 %), 1.265 auf natürliche Personen als Gesellschafter (minus 57,8 %) und 801 auf Nachlassinsolvenzen (plus 0,3 %). Bereits vor einigen Wochen hatte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, berichtet, dass erstmals in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ein Pleitenrekord von mehr als 100.000 Insolvenzen in diesem Jahr drohe. Die Zahl der davon betroffenen Arbeitsplätze schätzte Creditreform auf 650.000.

 

Anlässlich des weltberühmten Stiertreibens in Pamplona deponierte die baskische Befreiungsorganisation ETA eine Vier-Kilo-Bombe in einer Hotelcaféteria. Die Sprengladung konnte nach einem mit Kennwort durchgegebenen Warnanruf der Etarras unschädlich gemacht werden. Der Hotelbetreiber war so verwegen, die eingeforderte Revolutionssteuer zu verweigern. Auf dem Gelände der größten baskischen Transportfirma explodierte eine weitere Sprengladung. Kurz zuvor drohte die ETA wie jedes Jahr vor Beginn der Hauptsaison mit militärischen Operationen gegen den spanischen Tourismussektor. Ebenfalls zu militärischen Zielen erklärt wurden nunmehr auch Großunternehmen aller Art. Zudem kündigte die linksnationalistische Untergrundarmee an, künftig auch Schutzgelder von transnationalen Konzernen einzutreiben.

 

Die USA und Großbritannien haben bereits Ende März einen neuen Auslieferungsvertrag unterzeichnet, welcher allerdings noch nicht vom Senat ratifiziert wurde. Offiziell sind politische Delikte ausgenommen, aber faktisch können alle US-Staatsbürger und Personen mit fremder Staatsangehörigkeit anhand von Anschuldigungen Londons ausgeliefert werden. Straftaten in Verbindung mit Waffen- und Gewaltanwendung, auch Versuche diese zu begehen oder zu planen, gelten fortan nicht mehr als politische Delikte, sondern als Verbrechen. Verdächtige können auf britischen Antrag bis zu 60 Tage lang von amerikanischen Sicherheitsorganen inhaftiert und verhört werden, ihr Vermögen kann zugunsten GB beschlagnahmt werden. Nach erfolgter Auslieferung steht es den Briten offen, gegen den Delinquenten weitere Anschuldigungen zu erheben. Die Auslieferung ist auch dann möglich, wenn die Tat nicht gegen amerikanisches Recht verstößt. Das Abkommen richtet sich nicht zuletzt gegen die irische Bevölkerungsgruppe in den USA, die nicht nur über die NORAID den republikanischen Freiheitskampf unterstützt hat. In den Vereinigten Staaten leben zahlreiche Republikaner, die während des Bürgerkrieges Irland oder Nordirland verlassen mussten und nun von der Auslieferung bedroht sind. Die Irische community in den USA argwöhnt bereits, London bereite sich auf ein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges in Nordirland vor. Den US-Behörden ist die prekäre Lage irischer Gefangener sicherlich bekannt, sofern diese nicht in Maghaberry landen: In Gefängnissen auf britischem Boden kamen in den letzten anderthalb Jahren 7 irische Häftlinge ums Leben.

 

Noch ohne Ratifikation setzen die anglo-amerikanischen Behörden das Abkommen bereits in die Tat um. Seit dem 30. Januar 2003 sitzt der ehemalige IRA-Aktivist Ciarán Ferry im Knast. Ferry hielt sich legal mit einer Green Card in den USA auf und verhandelte mit US-Behörden um eine ständige Aufenthaltserlaubnis, da er auf einer loyalistischen Todesliste steht. Mittlerweile sitzt der Delinquent unter 24-Stunden-Einschluss im Hochsicherheitstrakt. Der seit sage und schreibe 27 Jahren in den USA lebende John McNicholl, ehemaliger Aktivist der INLA und wegen angeblichen Polizistenmordes gesucht, wurde geradezu seiner Familie entrissen und nach Irland abgeschoben, wo er sich im Knast einem britischen Auslieferungsantrag gegenübersieht. Von der Auslieferung ferner bedroht sind der seit 1987 in den USA wohnhafte IRA-Aktivist Paul Harkin sowie der nach einem loyalistischen Mordanschlag geflohene Sinn Féin-Aktivist Malachy McAllister. Alle Delinquenten sind mit amerikanischen Staatsbürgerinen verheiratet und haben zahlreiche Kinder.

 

Iren sind nicht nur in den Vereinigten Staaten oder auf bundesrepublikanischen Flughäfen Freiwild: Bei der Einreise ins Westjordanland wurde ein Mann aus Nordirland verhaftet. Der Verdächtige galt den israelischen Behörden als Sprengstoffexperte der Real IRA, der seine Fertigkeiten an palästinensische Widerstandskämpfer weitervermitteln wollte. Hierbei handelte es sich jedoch mitnichten um einen RIRA-Aktivisten, sondern um den mit Sinn Féin sympathisierenden John Morgan/Séan O´Muireagáin, einen journalistischen Vorkämpfer der gälischen Sprachbewegung und Nahost-Friedensaktivisten. Die Verhaftung ist offenbar auf einen absichtlichen Falschhinweis der britischen Nachrichtendienste zurückzuführen, denen weiterhin an Kriminalisierung und Einschüchterung der nordirischen Freiheitsbewegung gelegen ist. Nach Erkennung des Irrtums setzten die Israelis Morgan auf freien Fuß.

 

In den letzten Wochen häufen sich in der BRD Gerichtsverhandlungen, welche Fälle exzessiver Polizeibrutalität zum Gegenstand haben. Am spektakulärsten war sicherlich das Verfahren gegen 3 Thüringer Polizeibeamte, die während einer Bambule-Demo im November 2 Personen krankenhausreif prügelten - ironischerweise handelte es sich hierbei um Zivilbullen. Das thüringische Innenministerium versuchte zudem nach Kräften, das Verfahren zu beeinflussen, soviel zum Thema Gewaltenteilung in der BRD. In Stralsund wurden zwei Bullen zu jeweils 3 Jahren und 3 Monaten Knast verurteilt, weil sie einen betrunkenen Obdachlosen mitten im Winter in der Walachei aussetzten. Das hilflose Opfer starb 6 Stunden später an Unterkühlung und Alkoholvergiftung. Aus Frankfurt/Main wird ein Ermittlungsverfahren gemeldet: Auf Wache 4 im Rotlichtviertel wurde ein ohnehin Körperbehinderter derartig zusammengeschlagen, dass er einen Oberschenkelhalsbruch erlitt. Die Hansestadt Bremen wartet derzeit gleich mit zwei Zivilverfahren auf, da in beiden Fällen die Strafjustiz auf Seite der angeklagten Beamten stand. Im ersten Fall schlugen bis zu 14 Beamte einen jungen Mann auf der ohnehin stadtweit für Bullengewalt bekannten Innenstadtwache krankenhausreif, und im zweiten Falle wurde ein vorläufig Festgenommener auf einer anderen Polizeiwache zum Krüppel geschlagen. Die Reihe könnte man wohl noch endlos fortsetzen.

 

Lagefeststellung – Beurteilung der Situation – Möglichkeiten des Handelns – Entschluss – Umsetzung – Kontrolle

 

 

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